Veranstaltungen - August 2019



Menschenunwürdige Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern



Vortrag von Frau Julia Boving

veröffentlicht am 12.08.2019.

Tag für Tag warte ich darauf endlich wieder frei zu sein. Wenn ich den Stacheldraht betrachte, der das Camp umgibt, fühle ich mich wie in einem Gefängnis. Ich bin in einer schwierigen Situation wie so viele um mich herum“, berichtet der 34-jährige Mohannad Abukhadra aus Palästina. Er lebt seit über zehn Monaten in dem Flüchtlingscamp Vial auf der griechischen Inseln Chios. Hier wartet er zusammen mit derzeit 2356 weiteren Menschen unter katastrophalen Bedingungen auf eine Entscheidung in seinem Asylprozess, um die Insel endlich verlassen zu können.

Chios liegt in der Nördlichen Ägäis. An einigen Stellen ist die Insel nicht weiter als sieben Kilometer von der türkischen Ostküste entfernt. Zu tragischer Berühmtheit kam Chios 2015 mit der zunehmenden Zahl an Geflüchteten, die in Schlauchbooten aus der Türkei kommend, die gefährliche Ãœberfahrt auf die griechische Insel antraten. "Es wird zwar kaum noch darüber berichtet aber es kommen immer noch fast täglich Boote auf Chios an", erklärt Pothiti Kitromilidi, die Gründerin der Nothilfeorganisation Chios Eastern Shore Response Team (jetzt Offene Arme e.V.). Allein im Juli 2019 sind bisher 18 Boote mit 495 Menschen darin auf der Insel angekommen.

Offene Arme e.V. ist ein Nothilfeteam aus freiwilligen Helfter*innen. Sie werden alarmiert sobald ein Schlauchboot mit Menschen Chios erreicht hat. Die Freiwilligen fahren dann zum Ankunftsort, heißen die Geflüchteten willkommen und verteilen Nahrung sowie trockene Kleidung. "Die Schmuggler schicken die Boote auch bei Regen und hohen Wellen raus. Sie sind nur auf Profit aus. Die Schicksale der Menschen interessieren sie nichtâ", erklärt Frieda B., die als Freiwillige Offene Arme e.V. für zwei Monate unterstützt hat. Laut dem Missing Migrants Projekt der Internationalen Organisation für Migration sind 2019 bereits 682 Personen im Mittelmeer ertrunken. Die meisten Menschen verunglückten bei dem Versuch, von Libyen das zentrale Mittelmeer zu überqueren aber auch in der Ägäis kommt es immer wieder zu tragischen Zwischenfällen.

Mit dem EU-Türkei Abkommen vom März 2016 wurden die griechischen Inseln Chios, Lesbos, Samos, Kos und Leros zu Freiluftgefängnissen für Tausende Schutzsuchende. Seit dem Abkommen müssen die Geflüchteten, die auf den Inseln ankommen bereits dort ihren Asylantrag stellen. Die Konsequenz dieses komplizierten mehrstufigen Asylverfahren ist, dass tausende von Menschen teilweise bis zu zwei Jahren in unwürdigen Bedingungen in überfüllten Camps auf den Inseln festsitzen. Darüber hinaus sollen jene, für die die Türkei ein "sicherer" Drittstaat ist von den griechischen Inseln direkt wieder dorthin abgeschoben werden.

Auch Vial ist überfüllt. Das Camp hat Kapazitäten für 1250 Menschen und ist mit über 2300 Menschen mehr als überlastet. "Es gibt nicht genug Platz im Camp, deswegen müssen die Neuankömmlinge außerhalb des eigentlichen Lagers in Camping Zelten ausharren und das bei durchgängig über 35 Grad im Schatten", berichtet Pothiti Kitromilidi. Darüber hinaus ist die Camp-Leitung nicht dazu in der Lage, die neuankommenden Menschen mit Zelten, Matratzen und Schlafsäcken auszustatten und bittet die Nichtregierungsorganisationen Vorort um Hilfe. Diese übernehmen immer mehr die Aufgaben der griechischen und europäischen Verantwortlichen.v

Mohannad Abukhadra lebt nun seit über 10 Monaten in menschenunwürdigen Bedingungen im Vial Camp. Er teilt sich einen Container mit 50 weiteren Menschen. Mit Decken und Bettlaken trennen die Menschen provisorisch ihre Wohnbereiche innerhalb der Container voneinander ab. "Privatsphäre gibt es in Vial nicht", erklärt der 34-jährige Jurastudent aus Gaza. "Es gibt nicht genug Toiletten und Duschen, geschweige denn genügend Wasser. Überall liegt Müll, es ist dreckig und stinkt", erklärt Abukhadra. Internationalen Hilfsorganisationen warnen vor dem Ausbruch von Infektionskrankheiten aufgrund der desaströsen hygienischen Bedingungen in den griechischen "Hotspots".

Die Abschreckungstaktik der EU, durch katastrophale Bedingungen in den Flüchtlingslagern die Menschen von der Überfahrt nach Europa abhalten zu wollen, findet auf der Insel Samos ihren derzeitigen Höhepunkt. Das offizielle Camp hat gerademal Platz für 650 Menschen, derzeit leben allerdings über 4400 Geflüchtete auf der Insel. Die meisten von ihnen passen nicht mehr in das offizielle Lager. Aus diesem Grund hat sich links und rechts des Lagers der sogenannte Dschungel gebildet.

Die Camp-Leitung fühlt sich für den Dschungel nicht verantwortlich. Sie stellt den Menschen weder Zelte noch Baumaterialeien. Nach der Ankunft müssen die Menschen sich allein einen Platz suchen und aus allem was sie finden können einen provisorischen Unterschlupf basteln. Im Dschungel gibt es für die Geflüchteten weder Toiletten noch Duschen. Es gibt weder Wasser noch Abfalleimer. Dafür wimmelt es nur so von Ratten, Schlangen und wilden Hunden. Ãœberall liegen Müll und Fäkalien rum, die bei Regen in die Unterkünfte der Menschen gespült werden. Es gibt keine Elektrizität und nachts kein Licht. Insbesondere für Frauen ist die Situation äußerst gefährlich. Es kommt häufig zu Vergewaltigungen und anderen gewaltvollen Übergriffen. Erst kürzlich kritisierte das Anti-Folter-Komitee des Europarats Griechenland für den Umgang mit Migrant*innen und Geflüchteten.

"Die Menschen auf Samos sind depressiv. Sie haben keine Hoffnung mehr. Das Licht in ihren Augen ist erloschen", berichtet Dirar Alissa. Der 23-jährige stammt aus Aleppo in Syrien und lebt derzeit in Thessaloniki in Griechenland. Er arbeitete von März bis Mai diesen Jahres als Freiwilliger für die gemeinnützige Organisation refugee4refugees auf Samos. Refugee4refugees betreibt dort einen "free-shop", in dem die Menschen Klamotten, Hygiene Artikel, Windeln, Schuhe, Kinderwägen etc. bekommen können. Man könnte meinen, dass die existenzielle Versorgung mit lebenswichtigen Gütern Aufgabe der griechischen Regierung sei. Aber auch hier weit gefehlt.

Auf Samos sowie auf den anderen Inseln erfüllen die NGOs die Aufgaben der europäischen Regierungen. Die Nichtregierungsorganisationen betreiben Frauenzentren, Kindergärten, Kultur- und Bildungseinrichtungen, Gemeinschaftsgärten, Unterkünfte, medizinische Einrichtungen und bieten rechtlichen sowie psychologischen Beistand an. Die Regierung hingegen schafft es nicht einmal die Menschen mit anständiger Nahrung und ausreichend Wasser zu versorgen.

Auf den griechischen Inseln übernimmt die internationale Zivilgesellschaft Verantwortung für das Schicksal der Menschen, während europäische Regierungen zwielichtige Deals mit der Türkei aushandeln und die Augen vor dem Elend der Geflüchteten verschließen.

Impressionen vom Vortrag mit Julia Boving am 12. August 2019 in der Stadtbücherei Korbach

 


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