Presse-Echo - Februar 2014

Der Erfolg entscheidet sich vor Ort

Quelle: WLZ vom 21.02.2014

Über ein ausverkauftes Haus freute sich der Verein Lesebändchen beim Vortrag von Professor em. Klaus-Jürgen Bade.

VON ARMIN HENNIG

Korbach. Der gelegentlich als "Anti-Sarrazin" apostrophierte Wortführer in Sachen Migrationsforschung verzichtete in der Stadtbücherei Korbach auf Saalschutz und das obligatorische Polizeiaufgebot vor der Tür. Das Publikum war auch gar nicht an leidenschaftlichem oder handfestem Widerspruch interessiert, bot sich doch die einmalige Gelegenheit, viele von Professor Bade formulierte Positionen und Entwicklungsperspektiven, die in zahlreichen Gutachten für die Bundesregierung eingeflossen waren, aus erster Hand zu hören.

So manchem Berufspolitiker bescheinigte der Referent "gelegentliche Beratungsresistenz" in Integrationsfragen. Die Heuchelei von Volksvertretern, die vor Wahlen gern in die rechtspopulistische Trickkiste griffen, dabei aber die Nachwirkungen vernachlässigten, zog sich wie ein roter Faden durch seinen Vortrag. In "menschenfreundlicher Prosa" brachte er die Voraussetzungen und Notwendigkeiten einer Integrationspolitik den Zuhörern im Kontext nahe und machte manche schlecht vermittelte oder einseitig dargestellte Sachverhalte nachvollziehbar.

Stetiger Wandel

Bei der Vorstellung des Themenbereichs Identität und Angst nahm Bade Bezug auf die sogenannte "Islamrede" von Christian Wulff. Im Medienecho sei die zentrale Botschaft der Rede untergegangen. Der damalige Bundespräsident habe seinerzeit die "Akzeptanz des stetigen Wandels als erste Bürgerpflicht" reklamiert, sei aber auf die einseitig ausgelegte Behauptung, der Islam gehöre zu Deutschland, reduziert worden.

Dabei nahm der Migrationsforscher, der schon in den Achtzigern den Slogan "Integration ist keine Einbahnstraße" geprägt hatte, die Mehrheitsbevölkerung ebenso in die Pflicht und deren Reaktionen auf den rasanten Kultur- und Sozialwandel durchaus ernst. "Jede Zeit hat das Recht auf ihre Ängste", auch wenn Historiker im Rückblick keine sinnvolle Alternative zur stattgefundenen Entwicklung erkennen könnten. "Im günstigsten Fall entsteht eine neue kollektive Identität", lautete Professor Bades Prognose, der die Akzeptanz der kulturellen Vielfalt nicht durch Unterdrückung der Spannungen erreichen, sondern möglichst viele mitnehmen will.

Der Schlüssel sei gesellschaftliche Teilhabe für alle, aber konkret entscheide sich der Erfolg der Integration vor Ort. Damit nahm der Migrationsforscher gewissermaßen den Landkreis in die Pflicht. Der erste Kreisbeigeordnete Jens Deutschendorf hatte im Vorfeld seinerseits auf die zentrale Rolle der Integration und die Bedeutung des Netzwerks für Toleranz verwiesen.

Als aktuelles Haupthindernis der Integration bei der "Mehrheitsbevölkerung" stellte der in Roda aufgewachsene Migrationsexperte das "Feindbild Islam" dar. In den vergangenen 35 Jahren habe der Islam durch die Khomeini-Revolution und die Anschläge vom 11. September ein einseitig negatives Image bekommen. Bade selbst steht auf einer Todesliste eines islamkritischen Netzwerks und beklagte von daher, dass der Verfassungsschutz auf einem Auge blind sei, indem er nur Islamisten, aber nicht Islamkritiker ins Visier nehme. Dabei sei z. B. das Breivik-Massaker, das nicht Migranten, sondern den "Schönschreibern" der Integration gegolten habe, auf islamkritische Postings des Publizisten Henryk M. Broder zurückzuführen. Norwegen habe mit einer toleranteren Einwanderungspolitik ein Zeichen gegen den Extremismus der militanten Islamkritiker gesetzt, in Deutschland habe der Verfassungsschutz die Ãœberwachung einschlägiger Webseiten schon in der Voruntersuchung abgebrochen.

Das Unwort "Sozialtourismus" stehe für das nächste zentrale Hemmnis. So hatten die Meldungen von der "Armutswanderung" der Rumänen und Bulgaren im Januar 2014 sogar die Themen Arbeit und Rente von der Sorgenstatistik der Deutschen im ZDF-Politbarometer verdrängt. An der Notwendigkeit der als Auslöser der "Sozialfraß-Debatte" wirkenden Hilferufe der Städte Dortmund und Duisburg, denen finanziell tatsächlich das Wasser bis zum Hals stehe, wollte Bade auch nicht deuteln. Die bei den Sozialetats besser aufgestellte Stadt Mannheim hätte allerdings bei einer ähnlichen Zuwanderung nicht qualifizierter Zuwanderer aus den genannten EU-Staaten weniger Probleme.

Allerdings würde das Phänomen mit seinen Begleiterscheinungen wie Scheinselbstständigkeit und Arbeitsstrich nicht ohne ortsansässige Profiteure und unfreiwillige Amtshilfe gedeihen. Denn Gewerbescheine würden ohne Prüfung der Anschriften ausgestellt, sonst würde ein Haus mit 150 Selbstständigen sofort auffallen. So streiche ein Bordellbetreiber in Duisburg als Inhaber einer Schrottimmobilie mit Matratzen für Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien große Zusatzrenditen ein.

Rumänen werden gebraucht

Der Blick in; die Statistiken würde zudem das Märchen vom Sozialtourismus rumänischer Zuwanderer Lügen strafen. Von den 147 000 im Jahr 2013 nach Deutschland gekommenen Rumänen sei nicht einmal die Hälfte im Land geblieben. Dabei würden sie in ihren Berufen hierzulande zumeist gebraucht, was sich auch an der hohen Beschäftigungsquote zeige: Mit 5,3 Prozent Arbeitslosen lägen sie unter dem deutschen Durchschnitt von 6,1 Prozent.

In Sachen Armutswanderung vollführte Bade einen historischen Schlenker in die eigene Familiengeschichte. Im Paris des 19. Jahrhunderts hätten die Straßenkehrer hessisch gesprochen und seine Vorfahren, die ihren Lebensunterhalt in der französischen Metropole mit hessischen Spezialitäten verdient hätten, seien im Gefolge einer Wirtschaftskrise mit Beschäftigungsstopp für Ausländer nach Hessen zurückgekehrt.

Willkommen fühlen

Ließ sich das Märchen vom Sozialtourismus der Rumänen verhältnismäßig leicht widerlegen, so kam der Migrationsexperte beim Thema Willkommenskultur auf eine ganz große Schwäche der bisher geübten Praxis zu sprechen. Beim Generieren der aufgrund des demografischen Wandels erforderlichen Zuwanderung sei Deutschland zwar gut beim Willkommensagen, doch bei den anschließenden Schritten zum Sich-willkommen-Fühlen würde es noch an vielem fehlen. Das liege zum einen in der Struktur der Ämter, die nicht nur für das Willkommen, sondern auch für die Abschiebung zuständig seien, zum anderen an Phänomenen wie No-go-Areas und islamfeindlichen Webseiten oder dem Wahlkampfverhalten gewisser Parteien. Willkommenskultur, so Bade, dürfe keine einmalige Geste, sondern sollte Teil des täglichen Umgangs miteinander sein.

Vom neuen Bundesinnenminister Thomas de Maiziére verspricht sich Professor Bade eine bessere Integrationspolitik. Entscheidend sei aber, was vor Ort geschieht. Dabei empfahl er den Kommunen und Städten, nicht für sich jedes Mal das Rad neu zu erfinden, sondern sich mit ähnlich strukturierten Gemeinwesen zu vernetzen, voneinander zu lernen und bestehende Lösungen zu adaptieren.

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