
 T.[homas] $.[tearns] Eliot (1888-1965) Zählt zu den wichtigsten Autoren der literarischen Moderne in der englischsprachigen Welt. Geboren in den USA verbrachte er einen Teil seiner Studienjahre in Paris und Marburg. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, entschied er sich nach England überzusiedeln. Auch wenn er selbst nicht an der Front kämpfen musste, hinterließ der Krieg tiefe Spuren in seiner Lyrik. 1922 erschien sein wohl einflussreichstes Gedicht "The Waste Land" ("Das wüste
Land"). Die hier angewandte Collagetechnik, Fragmente verstreuter Bilder zusammenzusetzen, prägte auch sein Gedicht »The Hollow Men«, das drei Jahre später erschien. Beide Texte setzten sich mit der Desillusionierung nach dem »Großen Krieg« auseinander und entwerfen das Bild einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Zahlreiche Anspielungen auf literarische, mythologische oder kulturhistorische Aspekte ziehen sich durch Eliots Gedichte. 1948 erhielt Eliot den Literaturnobelpreis. Vorgestellt von Birgit Wille-Oppermann
The Hollow Men | Die Hohlen Männer (1925) [Extracts] | [Auszüge]
Mistah Kurtz—he dead A penny for the Old Guy
We are the hollow men We are the stuffed men Leaning together Headpiece filled with straw. Alas Our dried voices, We whisper together Are quiet and meaningless As wind in dry grass Or rats’ feet over broken glass In our dry cellar
Shape without form, shade without colour, Paralysed force, gesture without motion;
Those who have crossed With direct eyes, to death's other Kingdom Remember us—if at all—-not as lost Violent souls, but only As the hollow men The stuffed men. [...]
This s the dead land This is cactus land Here the stone images Are raised, here they receive The supplication of a dead man's hand Under the twinkle of a fading star.
Is it ke this In death's other kingdom, Waking alone At the hour when we are: Trembling with tendemess Lips that would kiss Form prayers to broken stone.
The eyes are not here There are no eyes here In this valley of dying stars In this hollow valley This broken jaw of our lost kingdoms
[...]
Sightiess, unless The eyes reappear As the perpetual star Multifoliate rose Of death's twilight kingdom The hope only of empty men. [...] Between the idea And the reality Between the motion And the act Falls the Shadow
For Thine is the Kingdom Between the conception And the creation Between the emotion And the response Falls the Shadow
Life is very long Between the desire
And the spasm Between the potency And the existence Between the essence And the descent Falls the Shadow
For Thine is the Kingdom For Thine is Life is For Thine is the
This is the way the world ends This is the way the world ends This is the way the world ends Not with a bang but a whimper.
| Mistah Kurtz—kaputt. Ein Penny für den alten Guy
Wir sind die hohlen Männer Die Ausgestopften Aufeinandergestützt Stroh im Schädel. Ach, Unsere dürren Stimmen, Leis und sinnlos Wispern sie miteinander Wie Wind im trockenen Gras Oder Rattenfüße Über Scherben In unserem trockenen Keller
Gestalt formlos, Schatten farblos, Gelähmte Kraft, reglose Geste;
Die hinüber sind, sehenden Auges, Ins andere Reich des Todes, Wenn sie an uns denken, denken sie nicht An gewalttätige verlorene Seelen, sondern an hohle Männer, An Ausgestopfte. [...]
Dies ist das tote Land Das ist das Kaktusland Hier sind aufgerichtet Die steinernen Bilder, zu denen Betet die Hand eines Toten, darüber Funkelt ein verblassender Stern.
Ob es so ist In den anderen Todesreich Ob Lippen wachen, mit sich allein, Zur Stunde da wir beben Vor Zärtlichkeit, Lippen die küssen möchten Und beten zu zerbrochnem Stein.
Die Augen sind nicht hier Hier sind keine Augen mehr In diesem Tal da Sterne sterben In diesem Hohlweg Dem Stück Kinnbacken zu unseren verlorenen Reichen [...]
Blind, es erschien denn Die Augen wieder Wie der lebende Stern Die vielblättrige Rose Des zwielichtigen Totenreiches, Niemandes Hoffnung, Hoffnung der leeren Männer. [...] Zwischen Idee Und Wirklichkeit Zwischen Regung Und Tat Fällt der Schatten
Denn dein ist das Reich Zwischen Empfängnis Und Geburt Zwischen Gefühl Und Erwiderung Fällt der Schatten
Das Leben ist sehr lang Zwischen Verlangen Und Rausch Zwischen Vermögen Und Verwirklichung Zwischen Wesen Und Untergang Fällt der Schatten
Denn dein ist das Reich Denn dein ist
Das Leben ist Denn dein ist das
Auf diese Art geht die Welt zugrund Auf diese Art geht die Welt zugrund Auf diese Art geht. die Welt zugrund Nicht mit einem Knall, aber mit Gewimmer.
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Aus: T.S. Eliot, Poems 1909 - 1925, London: Faber and Faber 1925. T.S. Eliot, Gedichte: Englisch und deutsch, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977.
Deutsch von Hans Magnus Enzensberger.
Nelly Sachs (1891-1970)
 Bereits 1921 erschien ihr erster Gedichtband. Nach dem Tod ihres Vaters 1930 blieb sie zunächst mit ihrer Mutter in Berlin. Ihr Geliebter wurde von der Gestapo zu Tode gefoltert, sie selbst wiederholt zu Verhören einbestellt. In dieser Zeit begann sie sich mit ihrer jüdischen Herkunft zu beschäftigen.
Dank eines schwedischen Visums entkamen Mutter und Tochter 1940 im letzten Moment der Deportation
in den Osten.
In ihrer Lyrik setzte sie sich mit dem Schmerz und Tod der Opfer der Shoah auseinander.
In den 1950er Jahren begann Sachs eine Korrespondenz mit Paul Celan. 1966 erhielt sie, zusammen mit Shmuel Joseph Agnon, den Nobelpreis für Literatur.
Hände (1947)
Der Todesgärtner, Die ihr aus der Wiegenkamille Tod, Die auf den harten Triften gedeiht Oder am Abhang, Das Treibhausungeheuer eures Gewerbes gezüchtet habt. Hände, Des Leibes Tabernakel aufbrechend, Der Geheimnisse Zeichen wie Tigerzähne packend - Hände, Was tatet ihr, Als ihr die Hände von kleinen Kindern waret? Hieltet ihr eine Mundharmonika, die Mähne Eines Schaukelpferdes, faßtet der Mutter Rock im Dunkel, Zeigtet auf ein Wort im Kinderlesebuch - War es Gott vielleicht, oder Mensch?
Ihr würgenden Hände, War eure Mutter tot, Eure Frau, euer Kind? Daß ihr nur noch den Tod in den Händen hieltet, Inden würgenden Händen?
Aus: Nelly Sachs, Fahrt ins Staublose. Die Gedichte der Nelly Sachs,
Bd. 1. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1961.
Paul Celan (1920-1970)
 wurde in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina geboren. Aus der rumänisierten Form seines
Familiennamens Ancel entstand das Anagramm seines Künstlernamens. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen
wurden er und seine Familie ins Ghetto deportiert, wo seine Eltern starben. Celan selbst überlebte. Zeit seines
Lebens quälten ihn Schuldgefühle als Einziger aus seiner Familie überlebt zu haben.
Nach dem Krieg siedelte Celan zunächst nach Wien und später nach Paris über. Seine Gedichte, allen voran
„Todesfuge", gehören zu den erschütterndsten Iyrischen Zeugnissen über den millionenfachen Massenmord an
den europäischen Juden. 1960 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Seine letzten Lebensjahre waren von
schweren Depressionen gekennzeichnet. Am 1. Mai 1970 wurde sein toter Körper aus der Seine geborgen.
Fadensonnen (1963)
FADENSONNE über der grauschwarzen Ödnis. Ein baum- hoher Gedanke greift sich den Lichtton: es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen.
Aus: Paul Celan, Die Gedichte. Berlin: Suhrkamp, 2018.
Sadako Kurihara (1913-2005)
 wurde in Hiroshima geboren. Als Dreizehnjährige begann sie erste Gedichte zu schreiben. Während der 1930er Jahre war sie mit ihrem Mann in anarchistischen Zirkeln aktiv.
Mit Schreibverbot belegt, begann Sadako 1941 heimlich Anti-Kriegs-Gedichte zu schreiben. Den Atombombenabwurf über Hiroschima am 6. August 1945 erlebte sie aus nächster Nähe mit. Bis zu ihrem Tod 2025 setzte sie sich in ihren Gedichten und zahlreichen Essays für die Ächtung von Atomwaffen und einen kritischen Umgang mit japanischen Verbrechen während des Krieges ein.
Wenn wir ‚Hiroshima’ sagen (1972)
Wir sagen Hiroshima, die Leute antworten sanft: „Oh, Hiroshima“ Wir sagen „Hiroshima“ und sagen „Pearl Harbor“. Wir sagen „Hiroshima“ und sagen „Massaker von Nanking“. Wir sagen „Hiroshima“ und sagen Frauen und Kinder in Manila, in Gräben geworfen, in Schützengräben geworfen, mit Benzin
übergossen und lebendig verbrannt. Wir sagen „Hiroshima“ und hören Echos von Blut und Feuer.
Wir sagen „Hiroshima“. und wir hören es nicht, sanft, „Oh, Hiroshima.“ Asiens Tote und ihre stummen Massen spucken im Refrain spucken den Zorn aus all derer, die wir zu Opfern machten. Damit wir „Hiroshima“ sagen können und als Antwort hören, sanft, “ „Oh, Hiroshima,“
müssen wir in der Tat die Waffen niederlegen die Waffen niederlegen, die wir längst hätten niederlegen sollen. Wir müssen uns aller ausländischen Stützpunkte entledigen. Bis zu diesem Tag wird Hiroshima eine Stadt der Grausamkeit und des bitteren Unglaubens sein. Und wir werden Ausgestoßene sein verbrannt mit den Überresten der Radioaktivität.
Wir müssen „Hiroshima“ sagen Wir müssen „Oh Hiroshima“ sagen Um eine sanfte Antwort zu bekommen Wir müssen erst das Blut von unseren eigenen Händen abwaschen.
[Übersetzung aus dem Japanischen: Tobias Metzler
Claudia Lars (1899 - 1974)
 Margarita del Carmen Brannon Vega
(Künstlername Claudia Lars) gilt als die
wichtigste Dichterin El Salvadors. Ihr Werk
speist sich aus einer Vielzahl literarischer
Einflüsse, darunter Amado Nervo, Francis
Thompson, Christina Rossetti und Juan
Ramön Jimenez. In den 1950er Jahren
arbeitete sie als Kulturattache in Guatemala.
Zeitweise lebte sie auch in den Vereinigten
Staaten, wo sie unter anderem für
antifaschistische Zeitungen in El Salvador
arbeitete. Auch in einigen ihrer Gedichte
verarbeitete sie die politischen Wirren in
ihrem Heimatland, wie die blutige
Niederschlagung der Matanza, einem
Aufstand der Landbevölkerung gegen das
Militärregime unter Martinez.
Vorgestellt von Antonia Dülmer
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Como poeta ciego
canté mi ensueno, mi albergue,
mi amistad y mis lágrimas.
Pero a quién le importaba, realmente,
el minimo “yo”?
*
Via los enmascarados
arrojando la verdad en un pozo.
Cuando empecé a llorar por ella
la encontré en todas partes.
*
Tata Justo, el indigena,
quedó sembrado entre balas y maldiciones.
Creo que de sus huesos va brotando
un nuevo maíz.
*
Herido por ametralladoras
elinocente olvidaba su espanto
en ataúd modesto.
Contemplándolo perdí para siempre
mi infancia de setenta anos.
*
Animal-tiempo,
obstinado devorador de mundos.
Transitorio es el hombre
y tú también.
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Wie ein blinder Dichter
sang ich meinem Traum, meine Zuflucht,
meine Freundschaft und meine Tränen.
Aber wen interessierte schon
das winzige „Ich“?
*
Ich sah die Maskierten,
die die Wahrheit in einen Brunnen werfen.
Als ich begann, um sie zu weinen,
fand ich sie Überall.
*
Tata Justo, der Indio,
blieb mit Kugeln und Flüchen übersät zurück.
Ich glaube, aus seinen Knochen
sprießt neuer Mais.
*
Verwundet von Maschinengewehren
vergaß der Unschuldige seinen Schrecken
im bescheidenen Sarg.
Bei seinem Anblick verlor ich für immer
meine Kindheit von siebzig Jahren.
*
Tierzeit,
unerbittlicher Verschlinger der Welten.
vergänglich ist der Mensch
und ihr seid es auch.
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Aus: Claudia Lars, Obras escodidas. San Salvador: Ed. Universitaria de El Salvador, 1973 [Übersetzung aus dem salvadorianischen Spanisch: Antonia Dülmer & Tobias Metzler]
Dovid Hofshteyn (1889 - 1952)
stammte aus einer traditionellen jüdischen Familie im
Rajon Schytomyr nahe Kyiv. Ein Studienplatz an der
Universität Kiew wurde ihm verweigert. Daher wandte
er sich der Schriftstellerei zu. Zunächst schrieb er neben
Jiddisch auch auf Hebräisch, Russisch und Ukrainisch.
Nach der Oktoberrevolution, die er üÜberschwänglich
begrüßte, wurde er in Moskau Herausgeber der
jiddischen Monatszeitschrift Der shtrom (Der Strom).
Während des Zweiten Weltkrieges gehörte er dem
Jüdischen Antifaschistischen Komitee (JAK) an - einer
auf Veranlassung der sowjetischen Regierung
gegründeten Gruppe bekannter jüdischer
Intellektueller, deren Ziel es war, weltweite
Unterstützung aus jüdischen Kreisen für den Kampf der
UdSSR gegen Nazi-Deutschland zu gewinnen.
Im August 1952 fiel er zusammen mit zahlreichen
anderen jiddischen Literaten - darunter David
Bergelson, Perez Markisch und Leib Kwitko - der
antisemitischen Säuberungsaktion, die als „Nacht der
ermordeten Dichter“ in die Geschichte einging, zum
Opfer. Erwurde in der Lubjanka, dem gefürchteten
Hauptquartier der Tscheka, hingerichtet.
Nach Stalins Tod wurde er posthum rehabilitiert und Teile
seines umfangreichen Iyrischen Werks erschienen in
russischer Übersetzung.
Vorgestellt von Tobias Metzler
Ukraine (1922) - [Auszüge]
Fiebriger Geist
wie heißes Pech
Namen tauchen auf
von verwüsteten Städten
blutige Nähe und
blutige Fremde ...
Fastov!
Vasilkov!! (1)
und weiter
und weiter
Ich kleidete mich an
Zwei gegenüberliegende
Eisenbahnwagonfenster
Mit durstigen
schon fiebrigen Blicke schaute ich
ohne Müh
ohne Ruh
ohne Shabbat, ohne Sonntag
vergeht die Woche ....
Wieder wandere ich
über deine verwaisten
zerklüfteten Felder,
Ukraine,
Ich schreibe mit dem Rauch
den schon
die Lokomotive verwirbelt
einen eiligen, einen zittrigen Brief
der helle, himmlische Hauch,
mit inniger Gleichgültigkeit
Sie schaut zu,
wie es schwindelt
Oase aus Ruinen
[...]
Ich kenne sie seit Langem
die Brust
deines Volkes
unter der rötlichen Svitka (2)
(wie altes rostiges Eisen)
Ständig bereit
angefüllt mit Verdruss
ständig bereit
Die unruhigen Hände zittern
Sie schlugen an den Kopf:
"Schlag!
um Schlag”! ...
[...]
Ich weiß auch dies:
generationenlang warst du
ein Ort der Zuflucht
für die Verstoßenen
aus dem großen, grauen Land ...
in deinen unendlichen Weiten
verschwimmt deine Schande,
Ukraine!
[Aus dem jiddischen übersetzt von Tobias Metzler]
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(1) - Orte im Bezirk Kiew, in denen Weißgardisten 1919 Pogrome an der örtlichen jüdischen Bevölkerung verübten. (2) - Traditionelle, aus Wolle gefertigte ukrainische Überkleidung
Bucha (Ukraine) 3. April 2022, Aufnahme: Carol Guzy.
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