Mit „Gentleman über Bord“ hat der mareverlag ein ganz besonderes Kleinod wiederentdeckt. Dieser bereits 1937 erschienene Debütroman des Autors Henry Clyde Lewis wurde 2023 zum ersten Mal auf Deutsch im mareverlag veröffentlicht und liegt nun in einer besonders bibliophilen Taschenbuchausgabe vor.
Herbert Clyde Lewis wurde 1909 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in Brooklyn geboren und starb bereits 1950 an einem Herzinfarkt ebenfalls in New York. Er arbeitete als Journalist, Autor und hatte auch als Drehbuchautor Erfolg. Dieser endete doch abrupt, als er in der McCarthy Ära unter Verdacht geriet Kommunist zu sein.
In „Gentleman über Bord“ schreibt er nicht ohne beißende Ironie aber auch mit viel Zuneigung für seine Figuren über das Missgeschick des Börsenmaklers Henry Preston Standish. Einem Missgeschick, welches einem Gentleman durch und durch wie ihm, eigentlich nicht passieren dürfte. Für welches er sich zunächst, bevor die Lage beginnt dramatisch zu werden, zutiefst schämt.
Standish ist in guten Verhältnissen, ohne jeglichen Mangel aufgewachsen. Er ist wohlerzogen, Teilhaber eines Börsenunternehmens und mit Olivia verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Er ist ein zutiefst anständiger, aber auch zutiefst mittelmäßiger Mann. Er lebt sein Leben ohne große Höhen oder Tiefen in, leichtem Überdruß. Als er sich, aus einer beginnenden Depression heraus, eines Tages entschließt für kurze Zeit aus seinem Leben auszubrechen, geht er an Bord der Arabella, die Kurs nimmt von Honolulu nach Panama. Genau dort geschieht ihm, im Morgengrauen, eben jenes Missgeschick, welches ihn Hals über Kopf in den Pazifischen Ozean befördert und nicht nur seine gute Erziehung, seine gesellschaftlichen Zwänge, seine Einstellungen und Überzeugungen bedroht, sondern auch sein Leben. Ein Mann seines Formats, seiner Klasse schreit nicht einfach ‚Mann über Bord‘. Die Mitreisenden und die Crew werden sein Verschwinden schon bemerken. Oder?
Auf nur 150 Seiten tauchen wir kurz ein in den Mikrokosmos der wenigen Personen an Bord der Arabella und tief in das Innenleben von Henry Preston Standish, in seine Überzeugungen, die sich auf See wandeln. Lewis führt uns direkt in Standishs verrücktes Hoffen, Bangen, Verzweifeln bis hin zum fulminanten Ende.
Ein Buch, welches mich restlos begeistert hat.